21 September 2021
Zwei große Akteure im deutschen Flüssiggas-Markt teilen ihre Ansichten über die Energiewende im Verkehrssektor – und die häufig unterschätzte Rolle, die Flüssiggas darin spielen kann. Ein Doppelinterview mit Bart van Aerle, Geschäftsführer des Kraftstoffsystemlieferanten Prins Autogassystemen (Teil von Westport Fuel Systems), und Uwe Thomsen, Geschäftsführer des Energieversorgers Propan Rheingas.
2021 ist ein bedeutendes Jahr für Umwelt und Industrie gleichermaßen – alle politischen Weichen sind auf Klimaschutz gestellt, die Ziele zur Reduktion von CO2-Emissionen klar gesteckt. Mit dem erst kürzlich verschärften deutschen Klimaschutzgesetz – 65 Prozent CO2-Einsparung bis 2030, Klimaneutralität bis 2045 – reagiert die Bundesregierung auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom April 2021 und die neuen, strengeren Vorgaben der Europäischen Union (Stichwort: „Fit for 55“). Der politische Druck ist damit so groß wie nie, und das Unbehagen der Industrie wächst. Denn nun heißt es umsetzen, und zwar schnell.
Der verstärkte Einsatz von (Bio-)LPG (Liquefied Petroleum Gas) in der Mobilität könnte bereits heute dazu beitragen, nicht nur CO2-, sondern auch Schadstoff- und Feinstaubemissionen sofort zu reduzieren. Ein immer noch weitestgehend unterschätztes Potential, denn mit einem Ausstoß von knapp 166 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten bleibt der Verkehrssektor das Sorgenkind der Energiewende. Bei der Emissionsminderung tritt der Mobilitätssektor seit 1990 nahezu auf der Stelle.
Obwohl die Flüssiggasnutzung ihren Ursprung in Deutschland hat, herrscht in Bezug auf LPG als alternativer Energieträger im Verkehrssektor innerhalb der Bevölkerung und bei vielen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern ein hohes Maß an Unwissenheit. Dies muss sich ändern, erklärt Thomsen: „Damit Flüssiggas sein Potential auf Deutschlands und Europas Straßen entfalten kann, bedarf es entsprechender politischer Anerkennung und eines angemessenen regulatorischen Rahmens“.
Kommt LPG als Pkw-Kraftstoff zum Einsatz, spricht man von Autogas. Es bietet eine umweltschonende, wirtschaftliche Alternative zu konventionellen Kraftstoffen, durch die eine sofortige Reduktion von CO2- und Schadstoffemissionen erzielt werden kann – durchschnittlich 15 Prozent weniger CO2 und bis zu 99 Prozent weniger Feinstaub gegenüber Benzinern.
Der ganz klare Vorteil: die bereits vorhandene Logistik und flächendeckende Infrastruktur von bundesweit rund 7.000 Tankstellen. Autogas lässt sich damit an jeder zweiten Tankstelle in Deutschland tanken. Das macht es besonders attraktiv für den Einsatz im ländlichen Raum, da es sich – im Gegensatz zu Wasserstoff oder der Elektromobilität – flexibel auch in abgelegene Regionen transportieren lässt. Hierin liegt für Thomsen das größte Potential, auch gegenüber anderen alternativen Antriebslösungen: „Bis zu 90 Prozent von Deutschland sind ländlich geprägt. Dem eigenen Pkw kommt hier nach wie vor eine zentrale Bedeutung zu – etwa zwei Drittel aller Wege werden mit dem Auto zurückgelegt. Durch die flächendeckend ausgebaute Infrastruktur kann Autogas hier die Lücke im Nah- und Pendlerverkehr schließen, die Elektromobilität aufgrund der Reichweiten-Thematik nicht abdecken kann“. Der ausgesprochen preisgünstige Treibstoff ist dabei besonders für preis- und umweltbewusste Autofahrer geeignet und für Menschen, die regelmäßig größere Entfernungen zurücklegen – wie etwa Pendler.
Durch LPG-Fahrzeuge werden in Deutschland aktuell bereits erhebliche Mengen an CO2, Feinstaub sowie Stickstoffoxiden eingespart. Allein die zurzeit rund 350.000 zugelassenen LPG-Fahrzeuge auf deutschen Straßen ersparen so der Atmosphäre rund 300.000 Tonnen des klimaschädlichen Gases pro Jahr. Mit LPG im Fahrzeugbestand kann also sofort eine deutliche Schadstoffreduktion zu bezahlbarem Preis erreicht werden.
Würde die Zahl der LPG-Fahrzeuge im Individualverkehr sowie im ÖPNV, Güter- und Landwirtschaftsverkehr ansteigen, ließen sich weitere CO2- und Schadstoffemissionen im Verkehrssektor einsparen, und sogar Fahrverbote vermeiden.
Neben dem Kauf eines LPG-Neufahrzeugs von Herstellern wie Dacia, Renault und Fiat, die Fahrzeuge mit Autogasausrüstung direkt ab Werk anbieten, stellt hier insbesondere die Umrüstungsmöglichkeit bestehender Flotten einen wirksamen Hebel dar, erläutert van Aerle: „48 Millionen Pkw fahren derzeit auf Deutschlands Straßen, davon rund 31 Millionen Benziner. Nur ein kleiner Teil wird davon bis 2030 durch batterieelektrische Fahrzeuge ersetzt werden können“. Bei einem Pkw-Durchschnittsalter von aktuell 9,8 Jahren liegt hier enormes Potential, da sich diese Fahrzeuge ohne großen Aufwand und zu überschaubaren Kosten auf den Betrieb mit Autogas umrüsten lassen.
„Als wichtiges Transitland im europäischen Ausland sollte Deutschland mit Blick auf die Zulassungszahlen für LPG-umgerüstete Pkw und Lkw auch einen Vorbildcharakter haben“, betont van Aerle. Rheingas geht hier mit gutem Beispiel voran und hat bereits 90 Prozent der eigenen Pkw-Flotte durch Prins-Autogassysteme umgerüstet.
Um die Vision eines klimaneutralen Deutschlands und Europas bis 2045 bzw. 2050 Wirklichkeit werden zu lassen, arbeitet die Flüssiggasbranche darüber hinaus aktiv an der Entwicklung und Etablierung nachhaltiger und erneuerbarer Varianten des fossilen Energieträgers. Die Beimischung sogenannter „grüner“ Gase – biogen oder synthetisch – wird aus fossilem LPG langfristig 100 Prozent regeneratives, klimaneutrales Gas machen, das entscheidend zur Dekarbonisierung des Straßenverkehrs beiträgt. Erneuerbaren Gasen kommt damit eine Schlüsselrolle in der Energiewende zu.
LPG ist ein ohnehin anfallendes „Abfallprodukt“ bei der Gewinnung von Öl und Erdgas – biogenes Flüssiggas (BioLPG) bietet darüber hinaus den Vorteil, dass es bis zu 100 Prozent aus organischen, nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden kann. Im Wärmesektor ist BioLPG bereits seit drei Jahren im deutschen Markt etabliert und wird auch in absehbarer Zeit für den Verkehrsbereich zur Verfügung stehen.
„Als Branche forschen wir parallel intensiv an einer Möglichkeit zur synthetischen Herstellung von LPG, um die fossile Abhängigkeit zu umgehen“, bekräftigt Thomsen, „zum Beispiel im Rahmen erster Pilotprojekte wie ‚FutureLiquidGas‘. Eine vollsynthetische, aus erneuerbarem Strom erzeugte, klimaneutrale Variante muss in die Erprobung, so dass sich diese ihren Platz im Energiemix der Zukunft erobern kann“. Für eine erfolgreiche Verkehrswende seien klimaneutrale synthetische Kraftstoffe unverzichtbar.
Der biologische und synthetische Pfad ist jedoch nur möglich, wenn das konventionelle, fossile Produkt weiter unterstützt wird – hier sei es an der Politik, die notwendigen Rahmenbedingungen und Kaufanreize zu schaffen, erklärt Thomsen weiter.
„Unsere Vision ist es, durch gemeinschaftliche Brancheninitiativen und strategische Partnerschaften eine grünere und saubere Zukunft zu schaffen. Wir haben als Branche alle Voraussetzungen geschaffen, inklusive eines flächendeckenden Tankstellennetzes. Nun ist es an der Zeit, dass die Politik dieses Klimapotential endlich anerkennt und nutzt – hier sehe ich großen Nachholbedarf“, fordert Thomsen. Die Sorge aufseiten der Industrie ist groß, dass die Politik die Belange der Unternehmen mit Blick auf Kosten, Wettbewerbsfähigkeit und Planungssicherheit nicht ernst nimmt. Um die Verkehrswende erfolgreich zu bestreiten und die ambitionierten Klimaziele zu erreichen, müssen daher alle zukunftsfähigen Technologien und Energielösungen ihren Teil zum grünen Wandel beitragen.
Prins Autogassystemen und Rheingas verfolgen das Ziel, schnelle, sichere und vor allem bezahlbare Lösungen für die Schadstoffproblematik des Verkehrs zu finden. Die EINE Wunderwaffe gäbe es dabei laut Van Aerle noch nicht: „Ob der ideale Antrieb der Zukunft in der Mobilität schon gefunden ist, möchte ich mit einem Fragezeichen versehen. Es gibt hier nach meiner Auffassung keinen Königsweg und es gilt insbesondere, den Übergang zu regenerativen Antrieben zu gestalten. Dafür braucht es Technologieoffenheit und Energieträger, die den Transformationsprozess kurz- bis langfristig mitgestalten“. LPG-Antriebe und -Kraftstoffe haben hier einiges zu bieten und sollten daher gleichrangig in die Energiewende des Verkehrssektors eingebunden werden – andernfalls würden erhebliche Chancen für den Klimaschutz vertan, so Van Aerle weiter. „Was wir benötigen, ist ein ‚Fair Play‘, d.h. die rechtliche Gleichstellung mit anderen umweltfreundlichen Alternativen. Verstehen Sie mich nicht falsch: wir denken nicht, dass die Verkehrswende mit Autogas allein zu schaffen ist. Aber wir möchten und können Teil der Lösung sein. LPG bietet mehr als nur den Übergang zum non-fossilen Zeitalter“.
Diese wirtschaftlich sinnvolle und umweltfreundliche Sofortlösung gilt es anzuerkennen und insbesondere das Potential von nachhaltigem BioLPG stärker zu nutzen und zu fördern. So kann die Energiewende im Verkehr gelingen.
Bart van Aerle wurde 2020 zum Vice President, Strategy and Product Planning bei Westport Fuel Systems Inc. ernannt, und ist zudem als Geschäftsführer für Prins Autogassystemen tätig – eine der wichtigsten Tochtergesellschaften und Schlüsselmarken von Westport Fuel Systems. Bart van Aerle leitet die Strategie und das operative Geschäft der Niederlassung in Eindhoven, wo er den Vertrieb hochwertiger LPG-, CNG- und LNG-Nachrüstsysteme und -komponenten für Kraft- und Transportfahrzeuge weltweit mit ausbaute. Mit fast 25 Jahren Erfahrung in der Automobilindustrie hatte van Aerle bereits unterschiedlichste Führungspositionen inne, unter anderem in den Bereichen Vertriebsmanagement, Betrieb und Qualität. Er absolvierte seinen Bachelor in Betriebswirtschaft und Ingenieurwesen an der Fontys University in Eindhoven.
Uwe Thomsen ist Geschäftsführer der Propan Rheingas GmbH & Co.KG. Der studierte Betriebswirt übernahm 2001 die Geschäftsführung von seinem Vater und leitet seitdem die Geschicke des 1925 gegründeten Familienunternehmens in nunmehr vierter Generation. Seit 1950 setzt der rheinländische Energieversorger und Lösungsanbieter auf Flüssiggas als Energieträger und war damit einer der ersten Anbieter. Unter Thomsens Leitung wuchs Rheingas vom regionalen Flüssiggasversorger, Tankstellenbetreiber und Händler technischer Gase zu einer Unternehmensgruppe mit insgesamt rund 450 Mitarbeitern und Sitzen u.a. in den Niederlanden und Polen. Der im Verband „Die Familienunternehmer e.V.“ engagierte Thomsen, der auch beim Senat der Wirtschaft und im Wirtschaftsrat Mitglied ist, ist Unternehmer durch und durch. Bis 2015 war er zudem für neun Jahre stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Verbandes Flüssiggas (DVFG).
Prins, Westport Fuel Systems Netherlands, wurde 1986 in den Niederlanden gegründet. Wir haben uns auf die Entwicklung und Herstellung qualitativ hochwertiger alternativer Fahrzeugantriebe wie LPG (Autogas) und CNG (Erdgas) spezialisiert und sind heute weltweiter Marktführer.
Prins gehört zur Westport Fuel Systems Inc.-Gruppe.
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